FVM testet neue Spielformen im Kinderfußball

Ein vielversprechendes Pilotprojekt: Mit Begleitung der Experten der Deutschen Sporthochschule Köln testete der Fußball-Verband Mittelrhein in der Sommerpause neue Spielformen für F- und E-Junioren. Der erste Eindruck überzeugte Teilnehmer und Initiatoren.

FVM testet neue Spielformen im Kinderfußball

Die Protagonisten spürten nichts von Aufregung und Anspannung, die üblicherweise zu einem Testlauf gehören. Als Spieler der E- und F-Junioren-Teams, die an diesem Sonntagmorgen nach Bergisch Gladbach-Refrath gekommen waren, jagten sie unbeschwert den Bällen hinterher und freuten sich über gelungene Schüsse, Kombinationen und Tore. Mit den etwas ungewohnten Rahmenbedingungen hatten sie sich schnell angefreundet.

Hendrik Winkelmann verfolgte das Geschehen aus anderer Perspektive – und mit anderen Gefühlen. „Ich bin absolut gespannt auf den Verlauf und auf die spätere Auswertung der Kamera-Aufzeichnungen“, sagte der Student der Deutschen Sporthochschule in Köln. Die Anzahl von Ballkontakten, Torschüssen und die Bewegung der Akteure auf dem Feld werde man analysieren. Winkelmann will sich in seiner Master-Arbeit mit altersgerechten Spielformen für Nachwuchsfußballer beschäftigen. Da kam ihm das von der Hochschule begleitete Pilotprojekt des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM) gerade recht. Wie zuvor bereits im Fußballkreis Aachen auf der Anlage von Eintracht Verlautenheide, wurde auch beim SV Refrath/Frankenforst eine Spielform getestet, die künftig eine Alternative zu den bisherigen Sieben-gegen-Sieben-Duellen zweier Teams darstellen könnte.

Die sechs teilnehmenden Vereine, darunter auch die U9-Mannschaft des Bundesligisten 1. FC Köln, bildeten jeweils zwei sechs- oder siebenköpfige Teams. Diese traten abwechselnd auf unterschiedlich gestalteten Spielfeldern an. So wurde im Modus Fünf-gegen-Fünf ohne Torhüter auf vier Minitore (1,20m x 1,00m) gespielt. Bei diesen Begegnungen waren Treffer lediglich aus einer begrenzten Schusszone erlaubt. In gleicher Formation ging es nebenan auf zwei Meditore (1,80m x 1,20m). Ebenfalls Fünf-gegen-Fünf, allerdings inklusive Torwart, hieß es beim Spiel auf zwei Jugend-Tore mit Höhenbegrenzung (5m x 1,65m).

Es war also Flexibilität gefordert. Und genau das war ein Ziel des Konzepts. „Die Spieler müssen sich immer wieder auf unterschiedliche Situationen einstellen, das schafft wichtige Erfahrungswerte“, erklärte Markus Hirte. Der Sportliche Leiter der Abteilung Talentförderung beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war eigens zur Premiere im Fußballkreis Berg gekommen, um sich einen Eindruck zu verschaffen.

Ein weiterer Vorteil der neuen Spielform besteht aus Sicht der Initiatoren darin, dass viele Spieler gleichermaßen zum Einsatz kommen. Für jedes Team stehen nämlich ein oder zwei Rotationsspieler bereit. Und diese werden nach jedem Torerfolg – egal, auf welcher Seite – nach einer festgelegten Reihenfolge eingewechselt. Fällt drei Minuten lang kein Treffer, wird ebenfalls getauscht. Lediglich die Torhüter sind von der Rotation ausgenommen. Allerdings darf ein Spieler maximal zwei Partien des Turniers im Tor bestreiten. „Am Sonntag sind 60 Kinder nach Refrath gekommen und niemand hat nur zugeschaut“, erklärt FVM-Jugendbildungsreferent Oliver Zeppenfeld, der zusammen mit FVM-Verbandssportlehrer Manuel Schulitz für die Pilotprojekte verantwortlich ist.

Mit der neuen Spielform will man gleich einigen Problemen im Nachwuchsfußball begegnen. So führen beim bisher in der F-Jugend praktizierten Spiel zweier Siebener-Mannschaften die relativ großen Spielfelder und die hohe Anzahl von Akteuren zu wenig Ballkontakten des Einzelnen. Und auch innerhalb des Teams gibt es zumeist gravierende Unterschiede: Nach aktuellen Erkenntnissen konzentrieren sich bis zu 70 Prozent der Ballkontakte auf zwei Spieler eines Teams. Die übrigen fünf teilen sich das verbleibende Drittel an Ballkontakten. „Wenn sich ein junger Fußballer weiterentwickeln soll, braucht er aber viele Aktionen und Ballkontakte“, betont DFB-Experte Markus Hirte. Wer nur selten am Ball sei und damit im Mittelpunkt des Geschehens stehe, verliere zudem schnell die Lust am Sport.

Die kleineren Mannschaften, das Spiel ohne Torhüter und die anders gestalteten Spielfelder fördern aber noch etwas: Der einzelne Spieler bekleidet nicht nur eine Position, sondern er ist überall auf dem Feld gefordert. Nachwuchsakteure, deren Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist, erhalten also eine breitere Ausbildung. Sie sammeln Erfahrungen in Offensiv- und Defensivaktionen. Dennoch werden sie kognitiv nicht überfordert, weil die Spielsituationen in kleineren Mannschaften übersichtlicher sind und den Wahrnehmungsmöglichkeiten ihres Alters entsprechen.

Die insgesamt sechs Spielrunden à 14 Minuten haben zudem den Effekt, dass der Stellenwert des einzelnen Resultats schwindet. Immer wieder ergeben sich neue, von Erfolg oder Misserfolg geprägte Situationen und Erlebnisse. Das sorgt kurzfristig für Spannung und Begeisterung. Mittelfristig ergibt sich eine veränderte Wahrnehmung. „Bei dieser Spielform gibt es nicht mehr nur das eine Ergebnis vom Wochenende, das noch drei Tage später thematisiert wird und für Frust oder gute Laune sorgt“, macht Markus Hirte deutlich. Das minimiert auch die Orientierung an nackten Resultaten. Die Coaches setzen in ihrer Trainingsarbeit und bei der Mannschaftsaufstellung eine andere Priorität: Im Fokus steht die Weiterentwicklung aller Spieler statt die Förderung nur der Besten. „Der Wettbewerb am Wochenende bestimmt die Trainingsarbeit unter der Woche“, sagt Hirte. Wenn man also wieder mehr Dribbler im Seniorenbereich sehen wolle, müsse man in der Nachwuchsarbeit technisch versierten Spieler eine breitere Plattform verschaffen.

Dirk Oepen, E-Junioren-Trainer des SV Adler Dellbrück, glaubt, dass die neue Spielform dazu beitragen kann. „Man muss sich an den Ablauf dieser Turniere gewöhnen, aber meine Jungs hatten heute sicherlich mehr Ballkontakte und waren technisch stärker gefordert“, sagt er. Sollte das Modell sich durchsetzen, müsse man diese Aspekte auch im Training stärker berücksichtigen. Auch Stefan Plep, Trainer des FC Bensberg, sieht durchaus Vorteile des veränderten Systems. Es kämen viel mehr spielerische Elemente zum Tragen, findet er. Die Taktik und auch die Abschlussstärke des Einzelnen spielten hingegen eine geringere Rolle. Dennoch hatten die Beteiligten häufiger als gewohnt Grund zum Jubeln – was auch die Verantwortlichen um Oliver Zeppenfeld freute: 323 Tore in 36 Partien bescherten dem Pilotprojekt eine beeindruckende Trefferquote. Und nicht nur deshalb eine vielversprechende Perspektive. 

Zum Hintergrund

Vorteile der neuen Spielformen

  • Alle Kinder kommen zu vielen Ballkontakten, Offensiv- und Defensivaktionen.
  • Die Zahl von Torschüssen, Dribblings und Zweikämpfen steigt und damit wächst auch die Chance auf Erfolgserlebnisse.
  • Spaß und Freude bleibt für mehr Akteure dauerhaft erhalten.
  • Die Turnierform minimiert die Bedeutung einzelner Resultate.
  • Lust und Stimmung der Nachwuchsspieler beim Training hängen nicht mehr von einem Wochenend-Ergebnis ab.
  • Das Zusammentreffen mehrerer Teams und die Regel, dass bei einem Drei-Tore-Rückstand ein zusätzlicher Spieler das Team verstärkt, bis der Unterschied nur noch einen Treffer beträgt, ermöglichen das sportliche Kräftemessen leistungsähnlicher Mannschaften.
  • Unabhängig von Kadergröße und Leistungsstärke erhalten alle Spieler vergleichbare Einsatzzeiten, weil die Auswechslungen durch Zeit und Torerfolge vorgegeben werden.
  • Trainer handeln bei der Mannschaftsaufstellung nicht mehr ergebnisorientiert.

Bewährte Neuerungen

Zu positiven Entwicklungen hat in der jüngeren Vergangenheit auch die Einführung der FairPlayLiga geführt. Dabei halten die Zuschauer einen Mindestabstand zum Spielfeld, die Kinder achten selbst auf die Einhaltung der Regeln und die Trainer betreuen das Spiel gemeinsam. Im Bambini-Bereich setzt man vielerorts auf Spielfeste statt auf klassische Begegnungen, um den beteiligten Spielern eine Vielzahl von Eindrücken und Erfolgserlebnissen zu verschaffen und unterschiedlichen Veranlagungen gerecht zu werden.

Zudem achtet man inzwischen auf kindgerechte Ballgrößen. Vielerorts wird die Torhöhe bei F-Junioren-Partien durch ein Netz begrenzt, um Kombinationen und Spielwitz zu belohnen und den vorübergehenden Nachteil vergleichsweise kleiner Torhüter zu minimieren.

Weitere Informationen:

Hier geht es zum Bericht des DFB zu den neuen Spielformen im Kinderfußball.

Text: Wolfram Kämpf
Foto: Andreas Steindl

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