„Alle teilen eine Begeisterung“

Johanna Sandvoß (35) ist als Vizepräsidentin im FVM ehrenamtlich verantwortlich für die gesellschaftspolitischen Themen. Im Interview mit Michael Kämpf erklärt die Kölnerin, wie sich im Fußball Menschen aller sozialer Gruppen einbringen und wohlfühlen können.

„Alle teilen eine Begeisterung“

Frau Sandvoß, der Fußball ist bunt. In der Nationalmannschaft und den meisten Amateurteams kommen längst Spieler*innen zusammen, deren familiäre Wurzeln in viele Teile der Welt reichen. Der Frauen- und Mädchenfußball hat in den vergangenen Jahrzehnten eine enorme Entwicklung erlebt. Und in den Klubs des FVM spielen Kindergartenkinder genau wie Menschen im Rentenalter.

 

Braucht es im Fußball denn noch mehr Vielfalt?

Johanna Sandvoß: Für mich bedeutet Vielfalt, dass sich jeder Mensch einbringen kann – unabhängig von Alter, kulturellem Hintergrund, Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe und sexueller Orientierung. Das umfasst also noch eine ganze Menge mehr als in der Fragestellung umrissen. Was Vielfalt im Fußball angeht: Auf diesem Weg haben wir schon viele gute Meter zurückgelegt. Fußball wird von Millionen Menschen in Deutschland gespielt, im FVM sind es über 134.000 aktive Mitglieder. Auf den Plätzen ist, unter Vielfaltsaspekten gesehen, jede Gruppe vertreten. Diese Vielfalt sollte sich aber auch bei den Trainer*innen, Betreuer*innen, Schiedsrichter*innen und auch bei den ehrenamtlichen Vereins- und Verbandsvorständen widerspiegeln. Hier laufen wir uns aktuell noch warm. Menschen mit Migrationshintergrund finden sich beispielsweise in unseren eigenen Gremien bisher eher wenige wieder, auch Menschen mit Handicap sind derzeit noch unterrepräsentiert.

 

Wie kann man denn Menschen bislang weniger stark repräsentierter Gruppen die Tür öffnen?

Der erste Schritt ist, sich überhaupt bewusst zu werden, dass nicht alle sozialen Gruppen in unseren Gremien vertreten sind. Diese Erkenntnis birgt zugleich enormes Potenzial, alle Gruppen einzubinden und so weitere motivierte Mitarbeiter*innen zu gewinnen. Man muss aber auch Strukturen flexibler handhaben und gegebenenfalls Aufgabenbereiche mit Blick auf Know-how und Interessen der Bewerber*innen neu zuschneiden.

 

Vieles klingt so, als müsse man Herausforderungen meistern. Ist Vielfalt nicht vor allem eine enorme Bereicherung?

Absolut! Wie gut andere Sichtweisen und frische Ideen wirken können, zeigt sich an den Vertreter*innen der jungen Generation in den Gremien des FVM. Die Mischung von Jung und Alt ist ja auch eine Form von Vielfalt. Das seit 2001 in der Satzung verankerte Konzept hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten bei uns vieles verändert und für neue Impulse gesorgt. Wir haben beispielsweise mehr weibliche Ehrenamtliche gewonnen. Viele ehemaligen VdjGler*innen haben inzwischen verantwortungsvolle Posten im FVM übernommen.

Vergleichbares gilt auch für die FSJler*innen. Eines muss man allerdings betonen: Es geht immer um die Öffnung für weitere Gruppen und niemals darum, aktuelle und oft langjährige Kräfte deswegen als weniger wichtig anzusehen, im Gegenteil! Wir wollen die gute Mischung. Wir brauchen alle mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und ihrem wertvollen Wissen. Der Vorsitzende des Fußballkreises Düren, Manfred Schultze, hat genau diesen Ansatz Anfang des Jahres erfolgreich umgesetzt und Daniel von Lüninck als jungen Kandidaten für seine Nachfolge ab 2022 vorgestellt.

 

Wo sehen Sie noch Verbesserungsmöglichkeiten auf dem Fußballplatz?

Grundsätzlich ist in den Mannschaften bereits eine große Vielfalt zu beobachten. Es gibt beispielsweise tolle Initiativen und Projekte, die die Inklusion, also die Einbindung von Menschen mit Handicap, voranbringen. Diesen Projekten wollen wir Rückenwind verleihen, sie breiter ausrollen, indem wir zum Beispiel Inklusionsteams in den Spielbetrieb bringen oder dafür werben, Menschen mit Behinderung in bestehende Mannschaften zu integrieren.

Den Vereinen eröffnet das die Chance, neue Mitglieder zu gewinnen. Es baut Vorurteile ab und stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es muss uns gelingen, Angebote für alle zu schaffen, die diesen Sport lieben. Weitere Ansatzpunkte sind z.B. Spielformen für ältere Menschen oder auch die Spielmöglichkeit für intersexuelle Menschen.

 

Lange Jahre war der Fußball in erster Linie eine Angelegenheit für Männer. Dumme Sprüche über fußballbegeisterte Frauen oder Homosexuelle haben die meisten schon einmal zu hören bekommen. Wo fängt Diskriminierung eigentlich an?

Diskriminierung ist auf der einen Seite klar definiert, nämlich eine Verletzung der Menschenwürde durch herabwürdigende, diskriminierende oder verunglimpfende Äußerungen oder Handlungen z.B. in Bezug auf Hautfarbe, Sprache, Religion, Abstammung, Herkunft, Sexualität. Auf der anderen Seite ist es auch ein subjektives Gefühl. Das, was ich sage, kann meine*n Gegenüber zum Beispiel aufgrund von Vorerfahrungen verletzen, ohne dass ich es selbst diskriminierend gemeint habe. Insofern müssen wir alle sicher insgesamt noch deutlich sensibler im Umgang miteinander werden.

Bezüglich Diskriminierung auf dem Platz haben wir unsere Schiedsrichter*innen und Sportrichter*innen geschult und sensibilisiert, damit sie diskriminierendes Verhalten erkennen und dann entsprechende Schritte einleiten. Wir haben für uns intern den Prozess im Umgang mit derartigem Fehlverhalten festgezurrt. Wir messen diesen Fällen eine immense Bedeutung bei. Bei Diskriminierungsfällen sind daher automatisch unser höchstes Sportgericht bzw. unser oberstes Jugendsportgericht zuständig. Das Verbandspräsidium tritt diesen Verfahren bei. Es ist grundsätzlich ein hohes Strafmaß vorgesehen und an die Strafen sind sinnvolle Auflagen gekoppelt. Auf diese Weise setzen wir ein klares Zeichen gegen jede Form der Diskriminierung.

Wir betreiben aber auch Aufklärungsarbeit, initiieren Aktionstage gegen Diskriminierung. Wir rufen dazu auf, ein Fehlverhalten auf dem Platz, in der Kabine oder am Spielfeldrand nicht hinzunehmen, sondern einzugreifen. Ein ganz wichtiges Medium ist die Sprache. Es gibt immer wieder Ausdrücke, die vielleicht grundsätzlich nicht so böse gemeint sind, aber jeder Art von Respekt und Toleranz widersprechen.

Da heißt es, Einhalt zu gebieten und den Anfängen zu wehren. Da sind auch Mitspieler*innen und Klubverantwortliche gefragt. Es geht letztlich um Respekt im Team, Respekt gegenüber den Spielpartner*innen und Unparteiischen. Und es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Vielfalt ein Gewinn für alle darstellt.

 

Muss Fußball als Volkssport Nummer 1 eine besondere Rolle im Ringen um Integration, Inklusion und Gleichberechtigung einnehmen oder überfrachtet man den Sport mit solch einer Erwartungshaltung?

Der Fußball kann auf jeden Fall einen wichtigen Teil beitragen. Das sehen wir ja überall auf den Fußballplätzen: Unterschiedliche Menschen kommen zusammen, weil sie alle die Begeisterung für diesen Sport teilen. Und egal, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene, Millionen Menschen verbringen eine Menge Zeit mit ihren Vereinskamerad*innen. Für sie ist Fußball im Verein ein wichtiger Teil des Lebens.

Letztlich geht es um ein gesundes Miteinander. Um Respekt und Wertschätzung für den anderen. Wir alle wollen gemeinsam Sport treiben oder ein Ehrenamt ausfüllen. Das kann nur dann gelingen und glücklich machen, wenn sich alle dabei wohlfühlen.

 

Zur Person

Johanna Sandvoß ist seit 2019 ehrenamtliche Vizepräsidentin im FVM (Verantwortungsbereiche: gesellschaftspolitische Fragen, Kommunikation und Marketing). Seit 2010 gehört die 35-Jährige dem FVM-Präsidium in verschiedenen Funktionen an. Ihr erstes Wahlamt übernahm die Schiedsrichterin 2001 als Vertreterin der jungen Generation im Kreisjugendsportgericht Rhein-Erft. Ihr Heimatverein ist der TSV Weiß aus dem Fußballkreis Rhein-Erft. 

 

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Hier geht es zum Vielfalts-Spot des DFB.

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